Mittwoch, Dezember 05, 2007

Nachtrag: die letzte eMail

In den unendlich verworrenen Gefilden unsortierter Emailarchive habe ich es gefunden - das Manifest, Buchstaben der Erquickung, den Text der Redsamkeit! Wie dem auch sei. Es handelt sich hierbei um eine Email, welche Mättu und ich in den letzten Tagen verfasst haben, die aber anscheinend kaum jemanden erreicht hat. Eigentlich schade. Darum der Eintrag. Konservierung von Gedanken, Schriftliches aus der Hand Mättus, Rekapitulation eines super Semesters in Jönköping, Schweden.

Hier also die Originalfassung - jedoch ohne Bilder (und ja, die ist lang):
[Urs in blauer Farbe | Mättu in grüner Farbe]

Crevetten. Crevetten mit Ei, an einer leckeren Sauce, gebettet auf einem saftig grünen Blatt Salat und garniert mit einer sattroten Tomate. All dies auf einem knusperigen runden, frisch gebackenen Brot. Eine Tortur! Denn während mein Magen sich anfühlt wie ein schwarzes Loch, verdrückt der Schwedenbub (ich nenn ihn mal Sven Sandwichson) eine Sitzreihe quer diagonal vor mir genüsslich, ja gar gierig dieses verheissungsvolle Prachtssandwich. Insgeheim hoffe ich, dass er es nicht aufessen mag, um dann spitzbübisch zuzuschlagen und die Reste zu entreissen. Dazu kommt es jedoch nicht. Nicht dass er es aufessen mag, nein, sein hagerer Hühne von einem Vater zermalmt alle Hoffnung auf einen Biss meinerseits mit seinen Zahnreihen. Mättu rettet mich. Er findet nämlich einen Beutel mit zwei am Morgen zubereiteten, kleinen Schinkensandwiches in unserem "Zauberbeutel". Hat nichts mit Harry zu tun sondern mit dem Umstand, dass wir uns momentan gerade auf der Fähre "HSC Gotlandia II" befinden, die von Nynäshamn südlich von Stockholm nach Visby auf der Ferieninsel Gotland (Mallorca Schwedens) fährt und auf der sich der gesamte vorhin geschilderte Essenszirkus abspielt.
Jönköping, unser Zuhause der letzten fast 6 Monate, haben wir hinter uns gelassen um die letzten Tage im Land der Elche noch ein bisschen herumzukommen. 6 Monate - die Zeit ist gerast wie ein Gepard auf Speed und beschämenderweise haben wir nicht einmal die Zeit gefunden, Euch eine Mail zu schreiben. Zwar hatten wir mal ganz im Sinne unserer Ingenhoff'schen Arbeit "Weblogs als neue Herausforderung für das Corporate Issues Management" einen Weblog mit Neuigkeiten aus Schweden eingerichtet (http://kraeftostkvaell.blogspot.com), welcher jedoch verstaubte wie die Blockflöte auf dem Estrich. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Mit diesem Mail hier. Da kommen auch noch zünftig Fotos auf Euch zu, ist ja nicht so, dass ich da einfach die ganze Zeit nur schreibe und dabei gar über das Mail selber schreibe, was man kommunikationswissenschaftslich eventuell in die Kategorie der Metakommunikation einordnen müsste. Geduld also, es wird besser.


Wo fängt man mit einem Massenmail an, welches eine Zeitspanne von einem bewegten halben Jahr umfassen sollte? Wo - keine Ahnung. Wie? Indem ich den Laptop mal Mättu rüberschieb, der ohnehin die ganze Zeit blöd auf den Monitor lugt.

Läck, was hat der Urs da für einen Stuss geschrieben! Ich werd mir zwar auch gleich so ein geiles Crevettensandwich holen..

So, nun mal zu unserem halben Jahr hier in dem Schweden. Dieses Land ist eigentlich nicht grundsätzlich anders als die Schweiz - von ein paar prägnanten Details mal abgesehen, die noch erläutert werden. Aber wenn 300 Studenten aus 60 Ländern für ein halbes Jahr in einer schwedischen Kleinstadt wie Jönköping zusammenkommen, die alle dieselben Absichten haben, dann ist das mit gewohnten Schweizer Lebensverhältnissen kaum mehr vergleichbar. Nicht nur, dass man beispielsweise innerhalb einer Woche mit Schweden Fondue, mit Australiern Fahitas, mit Mexikanern Crêpes und mit Kolumbianern polnische Wurscht isst - womit wir schon wieder beim Essen wären, generell fand an diesem Ort ein interkultureller Austausch in jeglicher Form statt, wie ich es nie zuvor erlebt hätte. International Perreo as its best. Soviel kurz zum Umfeld in dem wir das letzte halbe Jahr gelebt haben. Ich weiss nicht, ob dies für Austauschsemester so üblich ist, aber ich hatte je länger je mehr den Eindruck, dass eigentlich niemand wegen dem Studieren nach Schweden gekommen ist. Auf dem Programm standen über das ganze Semester vor allem Festen, Festen und Reisen.


Und Festen auf Reisen. Das hat der Mättu unterschlagen. Sowie auch die Unterschiede zwischen Schweden und der Schweiz. Zum Beispiel Trampoline. Uns ist es bis heute ein Mysterium, weshalb neben wohl jedem zweiten Schwedischen Häuschen noch ein blau/schwarzes Trampolin im Garten steht. Rund und wahrscheinlich gar dasselbe Modell. Hüpfende Eingeborene habe ich jedoch noch keine gesehen. Oder mag mich zumindest nicht daran erinnern, wobei der Kreis zum Festen und den Parties wieder geschlossen wäre - und gleich auch ein Übergang zustande gekommen ist. Parties sind nämlich auch anders hier im Norden. Zwar mag es eine Eigenheit Jönköpings sein dass alle Clubs, Pubs, Bars und Restaurants bereits um 02.00 Uhr schliessen. Musik aus, Licht an, Leute raus.

-- Zwischenstop. Der junge Padawan alias Mättu hat sich gerade eben ein solches Sandwich geholt, wie ich es eingangs sabbernd umschrieben habe. Seckel. Jedenfalls möchte ich die Umschreibung ergänzen und erwähnen, dass es noch einen Zitronenschnitz sowie einen typisch Schwedischen Büschel Dill drauf hat. Aber zurück zu den Parties.. --

Abends um elf mal in einer WG auftauchen mit einem Gascho Cardinal um dann später noch irgendwann in den Ausgang zu rugeln geht in Schweden nicht. Einerseits gibt es kein Cardinal, ganz zu schweigen davon, dass es in ganz Jönköping nur zwei "System Bolaget" gibt, die staatlich kontrollierten Spezialgeschäfte in welchem man zu liebevoll versteuerten Preisen Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 3.5% erhält und deren Öffnungszeiten so kundenfreundlich sind wie ein Steichelzoo mit Giftfröschen. Andererseits sollte man in Schweden schon vor elf im Club sein. Dann gibts nämlich oft noch günstiges Bier. Will heissen 4 statt 8 Franken für ein Glas. Mitunter hat diese Konstellation zur Folge, dass das Ausgangs- und Partyzeitfenster gerade mal für den Spalt von 23.00 bis 02.00 offen steht. Da infolge so genannter Pre-Parties, bei welchen sich die Schweden (und die sich anpassenden internationalen Studierenden) in einer Wohnung treffen und die im typischerweise violetten oder grünen System Bolaget Sack selbst mitgebrachten Flüssigkeiten stürzen, ist die Betrunkenen-Dichte in den Clubs bereits vor Mitternacht zuweilen exorbitant hoch. Diejenigen welche noch nicht im Halbdelirium durch die dunklen, mit zuckenden Lichtern und dröhnenden Boxen versehenen Räume taumeln, haben das Damoklesschwert "02.00 Uhr" über sich schweben und geben wohl gerade wegen dieser absehbaren Party-Deadline noch Vollgas. Was sich dann gegen 2.03 auf den Strassen Jönköpings abspielt, könnte ohne weiteres aus einem Zombiefilm stammen. Zombies aber, welche lachend und singend auf dem Weg zurück in die wohligen Wohnungen sind, in welchen dann die After-Parties steigen.


Die vom Urs als Zombies beschriebenen lustigen Leute begeben sich nun also direkt von der Party an die Afterparty. Um 02:10 fährt der Bus ins Studentenquartier. Der letzte Bus übrigens. Kaum aus dem Bus ausgestiegen schreit einer "Afterparty 92 6th floor!!" Und schon folgen alle lustigen Zombies dem Gastgeber - ist natürlich nicht immer derselbe - hinterher und versammeln sich in dessen Küche und auf dem Balkon.
Nun stellt euch einmal 20, 30 Leute in einer 12 Quadratmeter Küche vor! Laute Musik, Trunk und Tanz und oft fingen ein paar Leute auch noch an zu kochen. Diese Afterparties dauerten dann nicht selten bis die Sonne schon wieder hoch im Himmel stand - im Sommer geht schwedische Sonne halt auch schon um Morgens um 4 wieder auf.
Zum Frühstück essen klassische Schweden übrigens nicht Brot und Konfi, sondern rohen Fisch. Am längsten Tag im Jahr feiern die Schweden Midsommar. Dann wird gegrillt, getrunken und getanzt und man setzt sich einen Blumenkranz auf. Der Mättu hat so nen Kranz auch mal aufgesetzt.. das Bild hierzu findet ihr weiter unten. (Anm. d. Urs) [Bilder sind nicht vorhanden, Anm. des gleichen Urs]


...Inzwischen sind wieder ein paar Tage vergangen, der Urs und ich haben Gotland, die Ferieninsel im Osten Schwedens, schon wieder verlassen und sind auf dem Heimweg zurück nach Jönköping um unsere Koffer zu packen und hoffentlich den Flieger in die Schweiz nicht zu verpassen. Die letzten paar Tage waren cheiben lustig. Diese Insel passt überhaupt nicht zu Schweden, sieht eher aus wie irgendein Ferienort am Mittelmeer, ist aber besäht mit Häusern, die noch aus dem Mittleralter stammen und man kann nebst den vielen schwedischen Touristen die alten Vikinger förmlich noch riechen. Der Urs und ich haben heute Morgen natürlich noch die Fähre verpennt, haben den Wecker nicht gehört und sind zu spät aufgewacht unter unserem Baum oben auf dem Hügel wo wir immer gepennt haben. Wir waren also tief in der Scheisse, denn wegen der verpassten Fähre haben wir auch den letzten Bus nach Jönköping verpasst und mit dem Flieger wäre es daher auch verdammt eng geworden. Jetzt haben wir zum Glück drei nette Mädels gefunden, die uns Heim fahren.

Singende Möven, das Plätschern des Vätern-Wassers und Sonnenlichtspiele darauf bilden gerade die Kulisse für das Verfassen dieser letzten Mail-Zeilen. Frisch wie Duracell-Häschen nach einem tiefen, gesunden Schlaf in einer Wohnung die wir zur Verfügung gestellt bekamen sitzen wir nun nach dem Packen am gemütlichen Hafen an unserem letzten Tag in Jönköping. Und schreiben. Schon wieder. Oder immer noch. Jedenfalls haben wir beschlossen, dass wir Euch mit weiteren ausschweifenden Schilderungen verschonen, und nun Bilder zeigen. Soll ja kein Roman werden hier. Aber gewisse Sachen müssen einfach noch hier und jetzt darnieder geschrieben werden. Zum Beispiel ein Dankeschön für die feucht-fröhlich-frohlockend-jauchzende Von-Einem-Gemieteten-Raum-Über-Diana-Und-Strassen-Ins-Fries Good-Bye-Party in Fribourg an diesem berüchtigten kühlen Mittwoch im Januar! Domme hat mindestens eine Viertel Million Bilder gemacht, die noch in der Zensurbehörde feststecken. Wenn ihr welche davon wollt, schreibt einfach Domme. Am besten dreimal täglich. Jeden Tag die Woche. Jawohl.
Die andere wichtige Sache betrifft die Gerüchteküche Fribourg. Denn bis in die verwegenen Winkel schwedischer Naturreservate ist durchgedrungen, dass mehr und mehr Leute der "im Audi B in der Mitte oben sitzen Clique" sich aus Fribourg verabschiedet haben und in alle Welt versteut sind. Dennoch hoffen wir auf dicke Parties im Rock, lustiges Bräteln an der Sahne und gute Zeiten in Fribourg sobald es uns ab Oktober wieder ins Perolles zieht. Reunite to party! Wer ist noch alles im Lande?